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Full text of "Festrede zum Geburtstage Sr. Majestät des Kaisers"

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PROGRAMM 

des 



Schuljahr 1878 — 79. 


Von dem Rector 


Dr. Jos. 


***** 



Inhalt: 1) Festrede zum Geburtstage Sr. Majestät des Kaisers. Von dem Rector. 

2) Antrittsrede des Rectors. 

3) Schulnachrichten. 



1879. Progr. Nr. 356. 


Andernach, 1871 

A. Jung’sche Buchdruckerei. 




Festrede zum Geburtstage Sr. Majestät des Kaisers, 

22. März 1879. 

So weit unsere Erinnerung trägt, ist der Geburtstag unseres Königs ein hoher Fest- und 
Freudentag, ein Tag, der seit Gründung des neuen Deutschen Reichs naturgemäss noch er- 
höhte Bedeutung gewonnen hat. In allen Gauen des Vaterlandes, ja wo immer nur, über 
den weiten Erdkreis zerstreut, Deutsche wohnen, schallt heut heller Jubel , allüberall weht 
und flattert, ihren kaiserlichen Schirmherrn zu grüssen, unsere harterkämpfte nationale Tricolore 
im frischen Frühlingswinde! 

Kaiser Wilhelm! Wem ginge nicht das Herz auf bei diesem Namen? Wem ist 
es nicht, als müsste ihm in allen festlichen Veranstaltungen dieses Tages, auf allen Wegen 
fort und fort der gemüthliche Refrain des Hoffmann von Fallersleben’schen Kaiserliedes wieder- 
klingen : „Du edles Deutschland, freue dich, 

Dein König, hoch und ritterlich, 

Dein Wilhelm, Dein Kaiser Wilhelm ist’s!“ 

Mit tiefer ergriffenem Gefühle, in gesammelter ernsterer Stimmung begrüssen wir aber 
das Licht eben dieses Tages, an welchem unser ehrwürdiger Kaiser Wilhelm wiederum in 
ein neues Lebensjahr — sein dreiundachtzigstes! — getreten ist. Wohl sehen wir mit innig 
befriedigter Theilnahme die frohe Bewegung, den heiteren Glanz des in solcher Art gewis 
seltenen patriotischen Festes : doch ein bitterer Tropfen mischt sich in den Becher der Freud» 
die einmal nicht abzuweisende Erinnerung an die unerhörten, gegen das geweihte Haupt seine 
Majestät gerichteten Frevelthaten des vergangenen Jahres, angesichts deren der Genius (1 
Vaterlandes sein Haupt verhüllen muss. 

Es war, wie seiner Zeit der Reichskanzler Fürst Bismarck in öffentlicher Rede treffend 
hervorhob, für unser nationales Gefühl eine tiefe Demüthigung, dass „ein Monarch, der mehr 
wie irgend ein lebender, und ich möchte wohl sagen, ein der Vergangenheit angehöriger ge- 
than hat mit Einsetzung seines Lebens, seiner Krone, seiner monarchischen Existenz, um die 
Wünsche und Bestrebungen seiner Nation zu vefsvirklichen , der dies mit einem gewaltigen 
Erfolg und doch ohne jede Ueberhebung gethan, der dabei ein milder, volksfreundlicher Regent 
geblieben ist, eine populäre Figur“ — dass der von Mörderhand bedroht, ja getroffen wurde. 
Wir vermögen den Gedanken kaum zu fassen und zu ertragen, dass die hohe Heldengestalt 
unseres Kaisers, des Siegers von Königgrätz und Sedan, der fest stand im Donner der 
Schlachten, vor dem tückischen Blei eines ruchlosen Buben dahingesunken wäre , dass die 
Annalen der deutschen Geschichte auf ihrem dunkelsten Blatte das schmachvolle Ereigniss zu 
verzeichnen gehabt, wie der ruhmreiche erste Hohenzollern-Kaiser — gleich dem zweiten aus 
dem Hause Habsburg — ein tragisches Ende gefunden. 

Doch solch schwere Sorge nahm ein gütiges Geschick vom Herzen der Nation. Den 
Tagen der Trauer folgten Tage des Trostes. Die durch strenge Massigkeit und stete Arbeit 
gestählte Natur des greisen Helden überwand das ihm angethane schwere Leid. Und so ging 
bald, eher noch als man zu hoffen gewagt, in alles Land die frohe Botschaft, wie seinem 
Schmerzenslager, die von des Volkes Liebe gespendete blaue Blume der Treue in Händen, 
die hohe Himmelstochter Genesung genaht. 

„Mit Frohlocken es einer dem andern rief: 

Er lebt! Er ist da! Es behielt ihn nicht!“ 


Diese allgemeine Freude fand denn ihren erhebenden allgemeinen Ausdruck in der mit 
einem Ertrage von zwei Millionen die alte Liebe und Treue so glänzend bekundenden „Wil- 
helmspende“. Sie fand ihren weiteren Ausdruck in dem jubelnden Empfange, der dem ge- 
nesenen Kaiser zunächst auf seiner gewohnten herbstlichen Heerfahrt zu Cassel, dann am 
Rhein: in Coblenz, Cöln, Wiesbaden, und schliesslich von seiner Residenz Berlin bereitet wurde. 

Voll freudigen Dankes, dass so unverhofft und wunderbar Schlimmes zum Guten sich 
gewandt, beeiferte sich Alles, dem theuren Heldengreise ein um so reicheres Mass begeisterter 
Liebe und Verehrung entgegenzubringen, mit um so bunteren Kränzen und volleren Gewinden 
seinen Ehrenweg zu schmücken. Unvergesslich ist mir zumal aus den Cassel er Kaiser- 
tagen, wie unser Kaiser Wilhelm, von Gastein heimgekehrt, umbraust von dem Jubel der 
Tausende, im offenen Wagen seinen fröhlichen Einzug, seine joyeuse entree auf Wilhelmshöhe 
hielt. Eine so freie, ungezwungene Kundgebung eines allergreifenden, aus dem innersten 
Herzen quillenden Enthusiasmus, eine so grossartig einmüthige Betätigung treuester Anhäng- 
lichkeit an Kaiser und Reich hat man sicher sonst selten gesehn. 

Dem entsprechend war der in seiner echt volkstümlichen Art ganz einzige und unver- 
gleichliche Schmuck der Stadt Cassel , die seit der Gedenkfeier der Leipziger Schlacht ein 
solches Festtreiben nicht erlebt hatte. Bis in die fernsten Stadtteile, so weit hinauf, hinab 
das Auge reichte, winkte ihm das frische freundliche Grün unzähliger Guirlanden und Kränze, 
wallende Fahnen zogen darüber hin, an allen Wendungen der mit dichtlaubigen Bäumen be- 
stellten Strassen ragten Ehrenpforten mit poetischen Willkommgrüssen, In den ausgeräumten 
Schaufenstern bekränzte Büsten und Bilder des Kaisers, in Kornblumen dargestellt die Ini- 
tialen seines Namens oder die Kroninsignien, und was derart sonst die Liebe erfunden. Dazu 
die drängende festliche Bewegung der erregten Menge , die aus tausend leuchtenden Blicken 
redende wahrhafte Begeisterung des Volkes für Deutschlands ritterlichen Kaiser 1 Auf allen 
Lippen ein Wort: der Kaiser! In allen Herzen ein Wunsch: der, den Kaiser zu sehen! 

Meine kurze Schilderung lässt wohl zur Genüge erkennen, wie tief doch die Kaiseridee 
dem Volke in’s Herz gedrungen. Und sah man dabei auf deren gefeierten Repräsentanten, 
dem zu Ehren das Alles so sinnig und herzlich veranstaltet worden , so durfte man sich mit 
patriotischem Stolz gestehen, dass, wie einst die Römer von Kaiser Titus sagten, unser Kaiser 
Wilhelm — gleich jenem streng gegen sich selbst , aber freundlich und gütig gegen seine 
Unterthanen — in Wahrheit die Liebe und Wonne seines Volkes genannt zu werden verdient. 

Dem Zweifler aber — denn es gibt ja überall solche nüchterne, skeptische Naturen — 
möchten wir zu alledem gewünscht haben, dass er jene zur grossen Kaiserparade zusammen- 
geströmten Menschenmassen geschaut hätte, dass er da gehört, wie die Jubelrufe von Heer 
und Volk in einen gewaltigen Accord zusammenschmolzen : Heil dem Kaiser ! Die Trommeln 
wirbeln, die Fanfaren schmettern — aber sie schier übertönend braust zu den elektrisirenden 
Klängen der Nationalhymne der Hurrahruf des Volkes: Heil Dir im Siegerkranz! 

Solche enthusiastische Huldigungen wiederholten sich, wenn auch nicht in gleicher Aus- 
dehnung und Stärke, vielfach anderer Orten. Doch dem Kaiser selbst fehlte — so sehr auch 
diese untrüglichen Zeichen treuester Zuneigung und Anhänglichkeit seinem tief verwundeten 
Herzen wohlthun mussten — zu vollkommener Befriedigung bei alledem Eins: die gewohnte 
regelmässige und geordnete Thätigkeit, die ungehinderte Ausübung seines hohen Berufes. 
Erklärte Er doch selbst in dem Sinne zu Wiesbaden, er habe nicht so sehr ein Schmerzens- 
wie ein Geduldlager überstanden, da er so lange seiner Thätigkeit sei entrissen worden. 
Welche Freude daher für unsern greisen Kaiserlichen Herrn, als es ihm endlich vergönnt war, 
selbst wieder mit kräftiger Hand das Ruder der Regierung zu ergreifen. 

„Meine Kräfte gehören dem Vaterlande !“ hatte einst der angehende Jüngling (bei seiner 
Confirmation) feierlich gelobt und das Wort wollte Er selbst als hochbetagter, schwergeprüfter 
Greis treulich halten — treu nicht nur dem Gelöbnisse seiner Jugend, sondern treu auch der 
alten preussischen Tradition : dass der Herrscher selbst dem Staate gegenüber keineswegs 
absolut und eigener ernster Verpflichtung ledig sei, vielmehr nur — wie der grosse Friedrich 


dem übermüthigen Worte Ludwig’s XIV.: „L’etat c’est moi!“ entgegen sagte — sich als 
dessen ersten Diener zu betrachten habe. 

Gewiss nicht mit Unrecht hat man den preussischen Staat den Staat der Intelligenz ge- 
nannt, er ist aber auch, mit gleichem Rechte können wir es sagen, von unten bis zur obersten 
Spitze der Staat der Arbeit, dessen charakteristische Art in den Worten des Dichters (Goethe, 
Tasso I, 4) vorgezeichnet erscheint: „Was gelten soll, muss wirken und muss dienen.“ 

Diesen selbstlosen, jederzeit auf den Ernst der Arbeit gerichteten Sinn haben vor andern 
Fürstengeschlechtern die Hohenzollern bewährt und bethätigt, welche, seitdem Friedrich’s I. 
Mission in die Marken ging — bald wird ein halb Jahrtausend darüber entschwunden sein — 
mit zäher Energie ihren Staat gegen zahlreiche und mächtige Feinde zu schirmen, ja oft genug 
einen wahren Kampf um’s Dasein zu führen hatten. Aus der glänzenden Reihe dieser willens- 
starken Fürsten seien hier nur die drei genannt, durch deren angestrengtes Wirken Preussen 
zu seiner Grösse gelangte, deren epochemachende Regierung so zu sagen die Etappen des 
von unserem Staate in nur zwei Jahrhunderten durchmessenen welthistorischen Weges dar- 
stellt, die Triumvirn der preussischen Geschichte : der grosse Kurfürst, Friedrich der Grosse, 
Kaiser Wilhelm — Kurfürst, König, Kaiser ! 

Friedrich der Grosse — um nur bei diesem unvergleichlichen, einzigen Fürsten 
einige Momente zu verweilen — war ohne Frage einer der thätigsten Menschen, die je auf 
der Höhe eines Thrones gestanden haben. Mit männlichem, würdevollem Ernste trat der 
Jüngling sein königliches Amt an, indem er, die in ihm aufsteigende elegische, wehmüthig 
resignirte Stimmung bezwingend, sich mahnend vorhielt, wie nun die idyllisch schönen Tage 
von Rheinsberg unwiederbringlich dahin seien : 

„Ade, ihr Yerse, du, der Flöte Klang, 

Ade, ihr Freunde all’, Yoltaire und dein Gesang. 

Ich trage jetzt -die schwere Last der Krone, 

Treu leb’ ich meiner Pflicht und meinem Throne.“ 

Wie von Anderen selten bezeugt, hatte Friedrich von der Aufgabe des Fürsten die er- 
habenste Vorstellung: je höher die Stellung, desto höher die Pflicht. „Will man“, sagte er, 
„dass die Monarchie den Sieg behalte über die Republik , so muss der Monarch thätig und 
unbescholten sein und alle seine Kräfte zusammennehmen, um seinen Pflichten zu genügen.“ 

Im Gegensatz zu dem mit seinem prahlerischen Prunke, seiner weichlichen Ueppigkeit 
die Nemesis herausfordernden Versailler Königthum war es dem unablässig für das Wohl 
seines Staates wirkenden preussischen Heldenkönige wie Wenigen gegeben, durch seine Per- 
sönlichkeit der Monarchie eine höhere Weihe zu verleihen und, mit Fürst Kaunitz zu reden, 
den Thron und das Diadem zu adeln. Es ist ganz im Geiste der strengen Pflichtlehre Kant’s, 
seines kategorischen Imperativs, wenn der König noch in seinen letzten Tagen sagte: „Mein 
Stand verlangt Arbeit und Thätigkeit , mein Leib und Geist beugen sich unter der Pflicht. 
Dass ich lebe, ist nicht nothwendig, wohl aber, dass ich thätig bin “ 

Selbst so unverdrossen in der Ausübung seines königlichen Berufes, war er denn auc.‘ 
berechtigt, Gleiches von Anderen zu verlangen und dem preussischen Staate mit dem be 
rühmten Worte: „Toujours en vedette! Tout soit force, nerf et vigueur!“ seine Aufgabe an- 
zuweisen. Indem er so alle Kräfte antrieb und in Spannung hielt, zeigt sein hohes Vorbild 
in bedeutsamer Weise, was selbst ein kleiner Staat durch Einsicht und Thätigkeit seiner 
Fürsten vermag. 

Als die Zeit nahte, in der Friedrich der Natur seinen Tribut zu zahlen hatte und die 
Aerzte ihm dringlich riethen, sich zu schonen, da selbst noch wollte er von Sorge für seine 
Person nichts wissen. Lange schon der Stütze des Stockes bedürftig , wollte er lieber den 
hinfälligen Körper zur Arbeit, zur Vitalität zwingen, als müssig sein. Wie er einmal an seinen 
Jugendfreund Jordan geschrieben: „Du hast Recht zu glauben, dass ich viel arbeite. Ich thue 
es um zu leben, denn nichts gleicht mehr dem Tode als der Müssiggang“ — so dachte und 
handelte er bis zu seinem Todestage (17. August 1786). 


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Des Sinnes heisst es denn in seinem denkwürdigen Testamente u. A.: „Unser Leben 
ist ein flüchtiger Uebergang von dem Augenblicke der Geburt bis zu dem des Todes. Wäh- 
rend dieses kurzen Zeitraumes ist der Mensch bestimmt, für die Gesellschaft, deren Mitglied 
er ist, zu arbeiten.“ Nachdem er dann des Näheren ausgeführt, wie er mit allen Kräften 
„seine Pflichten gegen den Staat zu erfüllen“ bemüht gewesen sei, mahnt er seine Verwandten, 
„im Nothfall ihr persönliches Interesse dem Wohl des Vaterlandes, dem Vortheil des Staates 
zu opfern“, und schliesst dann, seine letzten innigsten Wünsche in den letzten Hauch zusammen- 
fassend, mit dem Mahn- und Segensrufe für sein Preussen: „Möge es stets mit Gerechtigkeit, 
Weisheit und Nachdruck regiert werden; möge es durch die Milde seiner Gesetze der glück- 
lichste, in Rücksicht auf die Finanzen der am besten verwaltete, durch ein Heer, das nur 
nach Ehre und edlem Ruhme strebt, der am tapfersten vertheidigte Staat sein!“ 

Die hohe Auffassung königlicher Pflicht, wie sie das ganze Walten Friedrichs des Grossen 
durchdrang und in ihm in einer Klarheit und Festigkeit zu Tage trat wie nie vorher in 
einem anderen Lande und durch einen anderen Herrscher, diese uneigennützige Auffassung 
des Königthums als einer hohen und ernsten Pflicht hat unser Kaiser und König als ein edles 
Vermächtniss übernommen und zum innersten Eigenthum seiner Seele gemacht. Er, in dessen 
wunderbaren Thaten und Erfolgen der Stern Friedrichs des Grossen wieder aufleuchtete, ist 
sein wahrer und würdigster Erbe! 

Gilt doch von unserem Kaiser Wilhelm in allen Punkten und in vollem Umfange, 
was der treffliche Geschichtschreiber Ludwig Häusser von Friedrich dem Grossen sagt: 
„In unserer ganzen Geschichte ist bis dahin keine Persönlichkeit zu erwähnen, an deren 
Grösse sich die gesammte Nation so ohne Unterschied der Stämme und Meinungen wieder 
erhob. Dass dieser König den Hochmuth der vornehmen europäischen Politik züchtigte und 
die alte deutsche Waffenehre wieder zur vollen glänzenden Anerkennung brachte , dass er 
allen den Fremdlingen, die sich so lange übermüthig als die Herren geberdet auf deutschem 
Boden, jetzt blutig heimzahlte und überall als der Ueberlegene, Rasche, Unbezwingliche er- 
schien, dem auch die Gegner ihre Bewunderung nicht versagten, das war von unberechen- 
barer Wirkung für das ganze deutsche Leben. Hier ward der schlimme Ruf unserer schwer- 
fälligen und unbeholfenen Art zum ersten Male glänzend widerlegt, hier ward nach langer 
Oede ein deutscher Mann mit seinem Volke der Gegenstand des Neides und der Bewunderung 
eines ganzen Welttheils. 

Der unermüdlich thätige und wachsame König, in seiner schlichten, anspruchlosen Er- 
scheinung, mit seinem scharfen Auge, seinem unverwüstlich gesunden Sinne, seiner Verachtung 
des Scheins, der Lüge, der Schmeichelei, seiner Gerechtigkeitsliebe — ist in zahllosen Ge- 
schichten, Erzählungen und Anekdoten in alle Kreise des Volkslebens eingedrungen und wie 
keine andere Persönlichkeit unserer Geschichte das lebendige Eigenthum der Nation geworden. 
Er ist der einzige Mann, dem es mitten in der Zerrissenheit gelang, im ganzen Kreise der 
Nation populäre Wurzel zu schlagen, dessen verehrtes Bildniss bis in die entlegensten Ge- 
genden in Palast und Hütte eine Heimstätte fand.“ 

Gleich seinem grossen Ahnherrn war unser Kaiser Wilhelm — wer möchte es heute 
glauben? — anfangs von wenig kräftiger Constitution. Als die Schlacht von Leipzig geschlagen 
wurde, musste der damals noch nicht 17jährige Jüngling auf Befehl des für seine Gesund- 
heit ernstlich besorgten Vaters unthätig in Breslau bleiben. Doch bald hielt es ihn nicht 
länger daheim; er musste auch mit Blücher „über’n Rhein in Frankreich hinein!“ Und wie 
ihn einmal seine edle Mutter, die hochsinnige Königin Luise, ihrem Vater geschildert: „ein- 
fach, bieder und verständig“ — so erschien er auch dem alten Marschäll Vorwärts, der da- 
mals (23. Dezb. 1813) in seiner treuherzig derben Weise aus Höchst schrieb: „Was mich 
nicht behagt, sind die villen grossen Herren. Eine ganze Hetze von Printzen krige ich wider 
um mich, von alle ist der Printz Wilhelm von Preussen mich der liebste.“ 

Und so zog denn Prinz Wilhelm , der nur sechs Wochen die Campagne mitmache 
sollte, aber mehr und mehr durch Ueberwindung der jugendlichen Schwäche stark ward, 


mit dem alten Blücher weiter gen Paris. Für seine im Gefecht bei Bar snr Aube bewiesene 
Bravour erhielt er am 10. März 1814 — dem Geburtstage der verklärten Königin Luise und 
zugleich dem ersten Stiftungstage dieses hohen Ehrenzeichens — das Eiserne Kreuz. Am 
81. März zog er mit dem siegreichen Heere in Paris ein, und abermals, nach der Waterlooer 
Schlacht, am 13. Juli des folgenden Jahres und — welch wunderbare Fügung des Geschickes!-— 
nach mehr als einem halben Jahrhundert, am 1. März 1871, stand er zum dritten Male, 
und diesmal als Deutschlands Oberfeldherr und Kaiser, vor den Thoren der bezwungenen 
Hauptstadt! 

Welche Fülle von Ereignissen ist es , die sich , Aller Erinnerung gegenwärtig, in die 
jenem historischen Tage vorausgegangenen kurzen sieben Jahre zusammendrängt, welch ge- 
waltiges Stück Geschichte, das da, im Verein mit seinen Heerführern und Staatsmännern, 
unser Kaiser Wilhelm geschaffen hat — nach den Männern des Wortes und des Gedankens 
der Mann der That, der berufen war, das Testament Friedrichs des Grossen zu erfüllen 
und zugleich das Wort seines königlichen Bruders einzulösen, dass die deutsche Kaiserkrone 
nur auf dem Schlachtfelde könne gewonnen werden. 

Solchen Preis hat dem kaiserlichen Sieger gewiss nicht das lächelnde Glück zugeworfen, 
er war das Ergebniss langen angestrengten Wirkens, die Frucht ernster Mühen. Unser König 
hat eben selbst am besten wahrgehalten, was er in der bei Antritt seiner Regierung (7. Jan. 
1861) erlassenen Proclamation seinem Staate als Norm vorgeschrieben: „Es ist Preussens 
Bestimmung nicht, dem Genuss der erworbenen Güter zu leben. In der Anspannung seiner 
geistigen und sittlichen Kräfte, in dem Ernst und der Aufrichtigkeit seiner religiösen Ge- 
sinnung, in der Vereinigung von Gehorsam und Freiheit, in der Stärkung seiner Wehrkraft 
liegen die Bedingungen seiner Macht. Nur so vermag es seinen Rang unter den Staaten 
Europas zu behaupten.“ 

Bescheidenen, schlichten Sinnes glaubt Kaiser Wilhelm mit allem was er erreicht ledig- 
lich seine Schuldigkeit gethan zu haben. In diesem wahren Spartanersinne ruht ein Zug- 
antiker Grösse, wie sie in der berühmten Inschrift des Simonides auf dieGefallenen von Thermo- 
pylae sich ausspricht, welche die grosse That prunklos als einfache Pflichterfüllung darstellt: 

„Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest 
Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“ 

In solcher Pflicht- und Berufstreue hat unser Kaiser einen nie ermattenden Tbätigkeits- 
trieb in sich wach und rege erhalten, der, verbunden mit der Strenge und Einfachheit seiner 
Lebensweise, seinem hohen Alter eine Rüstigkeit verlieh, wie sie — von unserm Karl dem 
Grossen , unserm Barbarossa nicht zu reden — selbst im urgesunden classischen Alterthum 
von wenig Herrschern bezeugt wird. Wurde es doch an jenem seit Hannibal’s Tagen furcht- 
barsten Feinde der Römer, dem politischen Könige Mithridates als etwas ganz Besonderes 
gerühmt, dass er noch mit 70 Jahren bewaffnet zu Pferde gestiegen sei. Unsern Kaiser aber 
sieht man noch mit der Last seiner Achtzig, bald hier, bald dort, zu kriegerischer Uebung 
fest im Sattel! 

Diese seltene, bis ins höchste Alter bewahrte , in strengem Pflichtgefühl begründete Ar- 
beitsfrische und Arbeitslust dürfen wir als den hervorstechenden Charakterzug Sr. Majestät 
bezeichnen, als die Krone und den Preis seines Lebens. Und damit ist er ein hohes Vorbild 
eben unserer Zeit, wo Arbeitsscheu und Genusssucht das Verbrechen gross ziehn, wo, nach 
einem treffenden Worte Fr. Kreyssig’s, frivole Pflichtverachtung wie giftiges Gas die Atmo- 
sphäre des Jahrhunderts durchdringt. Daher auch vielfach jene allem frischen Streben, allem 
idealen Schwünge abholde politische und sociale Verstimmung, daher jene trübe und pessi- 
mistische Anschauung, die sich in weitesten Kreisen breit macht und selbst in der modernen 
Dichtung und Philosophie überreichen Ausdruck gefunden hat. 

Ein erfreulicheres Bild, ein erquickendes und anziehendes, gewährt uns die Jugend, 
deren Bildung unserer Sorge anvertraut ist. Möge sie, frohen Herzens und hellen Blicks dem 
Leben zugewandt, jederzeit auch den ernsten Geist der Arbeit pflegen, der im erlauchten 


Hohenzollern- Hause webt und waltet. Möge sie erkennen und bedenken, dass insbesondere 
die Wissenschaft, deren edlem Dienste sie sich gewidmet, die ganze Hingabe der Kräfte ver- 
. langt und schon dadurch, neben ihrem unschätzbaren inneren Werthe, eine hohe sittliche 
Bedeutung hat. Darnach za handeln, im kleinen Kreise durch Fleiss und Pflichttreue hohem 
Vorbilde nachzueifern, das wäre wohl ein Gelöbniss „des Kaisers werth an seinem herrlichsten 
Feste“! 

Ein gutes, Vertrauen erweckendes Anzeichen, dass dem so sein werde, mag uns eben 
der heutige festliche Tag geben. Es ist der erste Frühlingstag, wo nach langer grauer Winter- 
öde das erste junge Grün in Flur und Wald das Herz mit Hoffnung und neuem Lebensmuth 
erfüllt. Frühlingsanfang: Kaisers- Geburtstag — bedeutungsvolles Zusammentreffen! 
Ein glückliches Augurium, das uns froh bewegt mit dem Dichter (Gust. zu Putlitz) ausrufen 

■ „Heil Ihm, der uns einst geboren mit dem neu erwachten Lenze, 

Aus dem ersten Grün des Jahres winden wir die Kaiserkränze. 

Mit des jungen Jahres Blüthen trat ins Leben er hinein, 

Glück verheissend unserm Yolke wie ein Frühlingssonnenschein!“ 

Nach wilden Kriegesstürmen hat unser Kaiser am Abend eines vielbewegten Lebens, 
dessen Wurzeln noch in das vorige Jahrhundert reichen, während seine Krone dem Ausgange 
des jetzigen zuneigt, mit des Reiches Wiedergeburt den langersehnten deutschen Frühling 
heraufgeführt. Dass unser Volk, wie der sangesreiche Heldenjüngling (Th. Körner) es einst 
erfleht, nun dasteht „bekränzt vom Gfficke, in seiner Vorzeit heil’gem Siegerglanz“, es ist 
vor allem das Werk dessen, dem schon die Zeitgenossen den Namen des Siegreichen gegeben 
haben. Sein Werk ist es, dass wir hier am Strande des vielbesungenen, vielumworbenen 
Stroms als unbezwungene Deutsche in Freiheit und Frieden seinen Ehrentag feiern. Durch 
' n erst wurde die bezeichnende Inschrift unseres Bonner Arndt-Denkmals zur vollen Wahr- 
heit: „Der Rhein Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze!“ 

Voll inniger Dankbarkeit preisen wir drum unsern theuren Kaiser, der, gross durch 
seine Thaten, ehrwürdig durch seine Person, nicht nur ein Eroberer neuen Staats- und Reichs- 
gebiets geworden ist , sondern auch ein Eroberer der Geister und Herzen. Fürwahr ein 
Herrscher und ein Held — gross und gut, bei dessen Anblick es uns an die Schilderung 
gemahnt, welche das alte Rolandslied von Karl dem Grossen gibt: „Edel von Haltung, im 
Antlitz Stolz und Milde, den weissen Bart auf blühender Wange , leicht gerührt und leicht 
erheitert, wenig redend und festen Sinnes bei grosser Güte.“ So steht das Bild des Kaisers 
vor uns, und schon beginnt , wie es nur bei grossen Persönlichkeiten der Geschichte eigen- 
thümlich ist — und selbst die letzten ruchlosen Mordversuche konnten nur „dazu beitragen 
diesen Eindruck zu erhöhen, dies vorahnende Gefühl zu bestätigen — ja, schon beginnt, 
sage ich, der Reiz des Romantischen , Sagenhaften sein ehrwürdiges Haupt zu umschweben 
und wird es weiter, je mehr diese imposante Gestalt in eine wahrhaft historische Perspective 
rückt. 

Wir aber bitten zu Gott, dass er auch fernerhin unseres geliebten Kaisers Leben und 
' < hl ergehn in seinen gnädigen Schutz nehme, und schliessen unsere ehrfurchtsvollen wärm- 
sten Wünsche in die (meinerseits nur mit einer leichten Variante bedachten) classischen Verse 
des römischen Dichters: 

„Serus in coelum redeas diuque 

Laetus intersis populo Germano, Tollat. Hic magnos potius triumphos, 

Neve te nostri» vitiis iniquum Hic ames dici Pater atque Princeps!“ 

Ocior aura 

Ja, möge er noch lange huldreich unter seinem treuen Volke weilen, seines Siegerruhms 
froh und des Volksgrusses: Vater und Fürst! Und so erschalle denn zur Bekräftigung 
dieses Wunsches von Herz zu Herz, von Mund zu Munde unser Jubelruf: Se. Majestät, unser 
Allergnädigster Kaiser und König — lebe hoch! 


Antrittsrede des Rectors, 

am 13. Mai 1878. 

Indem ich hier zum ersten Male vor Ihnen auftrete, um die Laufbahn zu beginnen 
welche mir der ehrende Ruf unserer hohen Regierung eröffnet hat, sei es meine erste Pflicht,* 
dieser hochgeehrten Versammlung , welche theilnehmende Liebe zu unseren Studien und 
der studirenden Jugend hierhergeführt hat, für die damit bezeugten Sympathien den ge- 
ziemenden ergebensten Dank auszusprechen. Vor allem aber drängt es mich, dem verehrten 
Vertreter der Vorgesetzten hohen Behörde, dessen freundlich anerkennende und mahnende 
Worte mich so sehr ermunterten und ermuthigten, meinen besonderen tiefgefühlten Dank 
abzustatten. Seine ehrende Gegenwart ist unserer Anstalt eine Gewähr weiteren gütigen 
Wohlwollens. Ja, wir dürfen die uns erwiesene Gunst um so höher anschlagen, als die Zeit 
des Repräsentanten unserer Regierung eben zu Beginn dieses Semesters bereits durch zw 
andere Amtseinführungen in Anspruch genommen war. 

Da es mir nun nach altem Brauche weiter obliegt, meine mit dieser Stunde inauguri 
Amtsthätigkeit durch einige Worte einzuleiten, so will ich, da wenige Zeit mir zugemes 
ist, nur einen Ihnen dahier oft vor Augen getretenen classischen Spruch einer kurzen 
trachtung unterbreiten. Ls sind eben die Worte, welche, von meinem zweiten Vorgäi 
herrührend, über der Schwelle dieses Saales Sie wie ein altrömisches Salvete! begrüss 
„Introite, nam et hic Dii sunt.“ Ursprünglich ist’s ein griechischer Spruch, über dessen nä 
Beziehung uns der Humboldt des Alterthums, Aristoteles, berichtet: einst hätten einige Atl 
den Philosophen Iieraklit, dessen Ruhm durch ganz Hellas erscholl, zu Ephesus besuchen 
wollen. Als sie nun, durch das bescheidene Aeussere der ihnen bezeichneten Wohnung irre 
gemacht, unschlüssig waren näher zu gehen, trat der Weise heraus und hiess sie mit freund- 
lichem Willkommgruss getrost eintreten, denn auch hier seien Götter: „dabat {raQQovvmq, 
eivat jag xal svrav&a ftsovs“ Der tiefblickende ernste Denker wollte damit zu verstehe^ 
geben, dass — entgegen dem vulgären Götterglauben, den er eine Jsqix vöooq“ na 
auch seine Lehre Keime des Göttlichen enthalte und pflege. In analogem Sinne dürfe 
wir denen, die diesem schlichten Asyle der humanen Wissenschaften nahen, zurufen: , 
ein, denn auch hier sind Götter!“ 

Nach seinem Namen und seinem Zwecke ist eben unser deutsches Gymnasium eine 
Turnschule des Geistes — ich möphte sagen: gegen die mehr eine besondere Fachbih 
bezweckende Realschule eine auf das Allgemeine, Höhere gerichtete Idealschule. „Littt 
— Artes“*J steht auf dem Panier, das wir hochhalten und wie ein heiliges Palladium schirm 
Gerade in unserer industriell so gewaltig entwickelten Zeit mit ihrer wilden Jagd nach dt 
Glück, wo. Genuss und Gewinn um jeden Preis die Parole des Tages ist, und entgegen aut 
der Complicirtheit und aufregenden Unruhe des modernen Lebens ist der erhabene Idealismu 
der antiken Bildung von doppelter Bedeutung. 

Die stille Grösse der alten Welt, die edle Einfalt und Würde, welche allen Erschein- 
ungen des antiken Lebens aufgeprägt ist, hier des Weiteren schildern wollen möchte Männern 
gegenüber, die den Werth dieser Studien als Jünglinge erkannt haben und gewiss noch jetzt 


*) Inschriften des Saales. 


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wohl zu würdigen wissen, fast gemeinplätzig erscheinen, ja es hiese im wörtlichsten Sinne 
.Eulen nach Athen tragen“. Ich lasse daher lieber die schönen Worte Jean Paul’s für mich 
reden: „Wenn es je Bildner und Lehrer des Menschengeschlechts gegeben hat, so sind es die 
Griechen; und die ernsten, selbst classischen Römer, die ersten Schüler von jenen, haben 
bereits dargethan, was der Einfluss griechischer Bildung ist und vermag. Die jetzige Mensch- 
heit versänke unergründlich tief, wenn nicht die Jugend vorher durch den stillen Tempel der 
grossen alten Zeiten und Menschen den Durchgang zum Jahrmärkte des späteren Lebens 

nähme.“ 

Ein warnendes Beispiel, wie ein Volk ohne unsere humanistischen Studien dem nackten 
Materialismus, dem blöden Cultus des goldenen Kalbes verfällt, ist das heutige Amerika, wo 
der „allmächtige Dollar“ herrscht und in der allgemeinen Geldjagd so recht der spöttische 
Spruch des alten Horaz praktisch geworden ist: „Mach dir Geld, wenn’s geht auf rechte 
Weise, wo nicht, mach dir nur Geld — rem, facias rem!“ 

Sollte mir hier vielleicht im Stillen der Vorwurf gemacht werden, dass, ich eben nur 
in eigener Sache redete , im Grunde nur eine oratio pro domo hielte, so sei mir gestattet, 
auf die jüngst pubücirten*) trefflichen Worte Emil Du Bois - Reymond’s hinzuweisen — von 
dem berühmten Physiologen gewiss ein unverdächtiges, vollwichtiges Zeugniss: „Halten wir 
der die Ideale zergliedernden, was sie nicht in nüchternes Licht zu setzen vermag verächtlich 
bei Seite schiebenden, die Geschichte ihrer ergreifenden Macht, die Natur selber des reizenden 
Schleiers beraubenden Naturwissenschaft das Palladium des Humanismus entgegen. Wie er 
die Menschheit aus dem Verliesse der scholastischen Theologie errettete, so trete er jetzt in 
die Schranken wider den neuen Feind harmonischer Cultur. Die von unvergänglichem Zauber 
umwitterten Menschen- und Göttergestalten des Alterthums, jene Sagen und Geschichten der 
mittelländischen Völker, in welchen fast alles Schöne und Gute wurzelt, der geistige Umgang 
mit der hochgestimmten antiken Gesellschaft, die zwar der Naturwissenschaft entbehrte, aus 
deren Mitte aber bevorzugte Männer zu kaum wieder erreichter Grösse aufstiegen: sie sind 
es, von deren Einwirkung auf das jugendliche Gemüth am sichersten Heil im Kampfe gegen 
die mit eisernem Arm heute nur noch locker, bald jedoch enger und enger uns umschnürende 
Neobarbarei zu hoffen ist. Der Hellenismus halte den Amerikanismus von unseren geistigen 
Grenzen fern.“ 

Letzterem entgegen sei auch darauf hingewiesen, wie eben ein anderes, dem. unseren 
nächstverwandtes, aber gleichfalls eminent praktisches Volk, das englische, sich jederzeit 
dessen bewusst geblieben ist, was es dem streng durchgeführten classischen Principe seiner 
Jugendbildung verdankt. Seine ersten Staatsmänner, wie Pitt und heute Gladstone, kannten 

und kennen die Alten trotz jedem Philologen. 

Vor allem aber ist es unser Deutschland, dem der unbestrittene Ruhm treuester und 
sorgsamster Pflege der classischen, wie der diesen innerlich verwandten Studien gebührt. 
Der Franzose Leon Gautier meinte sogar, eben in der deutschen Wissenschaft liege Deutsch- 
lands Stärke und das Geheimniss seiner Triumphe. Und wenn nun auch andere vorurtheils- 
freie Männer unter unseren galanten Nachbarn mit „patriotischer Beklemmung bekannten, 
dass eine der Hauptursachen ihrer steten, geradezu unerhörten Niederlagen die wissenschaft- 
liche Ueberlegenheit Deutschlands gewesen sei, welche Forderung wird sich für uns daraus 
ergeben? Doch wohl die, dass Alle, Lehrende wie Lernende, und soviel ein Jeder an seiner 
Stelle vermag, eifrig bestrebt sein sollen, jenen hohen Ruhm tüchtiger wissenschaftlicher 
Bildung für unser Vaterland aufrecht zu halten. Es kömmt dabei nicht auf das Viellernen 
an, denn eben das ist nach dem weisen Spruche HerakliFs: „jtolv^ad'la voov ov di.da.6xsc 
eher ein Fehler. Die echte Lernlust, die Philomathie, sei unsere Aufgabe, jenes edle 
wetteifernde Streben, das allem Gelingen den Kranz entgegen trägt. 

Suchen wir aber auch — und damit wende ich mich vorzugsweise an euch, geliebte 


*) CulturgescMchte und Naturwissenschaft. Leipzig, Yeit Sc Co. 1878. S. 45. 




Schüler — aus unseren Studien Eins vor allem uns anzueignen, worin eben die Alten uns ein 
leuchtendes Vorbild und Muster sind: die, wiederum wesentlich in idealem Sinne begründete, 
thatkräftige und opferwillige Va te rl and sliebe! Wohl in keinem Punkte haben die Alten ihre 
sittliche Kraft, ihre virtus, d. h. männliche Tüchtigkeit, edler und herrlicher an den Tag ge- 
legt. Uad eben diese, Griechen wie Römer gleich sehr auszeichnende, lebendige Vaterlands- 
liebe ist wiederum, wie die Alten treffend sagten, „die Mutter vieler Tugenden“. Zu ihrer 
Betätigung verlangt sie: Gehorsam, Gewöhnung an Ordnung, Zucht und Sitte, Fleiss, Arbeit- 
samkeit, Pflichttreue — alles Tugenden, die so recht Hohenzollern-Tugenden genannt werden 
können, Tugenden, deren freie Uebung eben dem Staate obliegt, dem das Königliche Wort 
zur Richtschnur gegeben, dass es ihm nicht bestimmt sei, „dem Genuss der erworbenen 
Güter zu leben“. 

Auch an euch, ihr Knaben und Jünglinge, ergeht dieser Appell unseres aliverehrten Kai- 
sers und Königs. Auch auf euch rechnet Er, er erwartet von euch, der jungen Garde der 
Zukunft, dass der gute Geist, aus dem die eben genannten Tugenden erblühen, jederzeit unter 
euch walte. Macte virtute, puer! sagt Er zu einem Jeden von euch, die ihr dereinst be- 
stimmt seid, mit den Waffen des Arms oder des Geistes auch eine „Wacht am Rhein“ zu 
sein, die fest steht und treu zum Vaterlande! 

Ihnen aber, meine geehrten Herren Collegen, reiche ich mit vollem Vertrauen zu ge- 
meinsamer Arbeit die Hand und sage, gleiches Vertrauen von Ihnen erbittend, mit den Worten 
der Goethe’schen Iphigenie : „Zwischen uns sei Wahrheit!“ Lassen Sie uns in rechter Berufs- 
treue und Berufsfreudigkeit stets fest Zusammenhalten und in gleicher Hingabe an die ideale 
Seite des Lehrerberufs in dem echten, harmonisch verbundenen religiösen, wissenschaftlichen 
und vaterländischen Sinne die unserer Obhut anvertraute Jugend den Weg führen, welchen 
der weise Heraklit die „odög clvco“ nannte, den Weg nach oben. 

Mein letztes wie erstes Wort aber gilt Ihnen, hochzuverehrende Vertreter des Staate 
und der Stadt. Ich wende mich an Sie mit der ehrfurchtsvollen Bitte, dieser Anstalt, fi 
deren Wohl und Gedeihen ich nach bestem Wissen und Vermögen thätig zu sein gelob 
Ihre wohlwollende Unterstützung, Ihren starken Schutz gewähren zu wollen. Ihre derselb 
seither so gütig erwiesene Theilnahme und Fürsorge sei ihr eine gute Bürgschaft, ein siche 
Pfand der Zukunft. Das walte Gott ! 


Schulnachrichten. 


I. Lehrverfassung. 


Secunda. 

Ordinarius : Der Rector. 

Religion slelire. a. Kat hol. : Die Lehre von der h. Eucharistie. Das Wesentlichste aus 
der allgemeinen und besonderen Sittenlehre. Kirchengeschichte von der Reformation bis auf 
die Gegenwart. 2 St. Terwelp. — b. Evang. : Heilsgeschichte des alten Bundes und Bibelkunde 
des alten Testaments. Erklärung und Memorirung ausgewählter Kirchenlieder und Psalmen. 
2 St. Sinemus. 

Deutsch. Lectüre prosaischer und poetischer Stücke aus Worbs’ deutschem Lesebuch, 
mit besonderer Beachtung des Mittelhochdeutschen (Nibel., Walther v. d. V.). Metrik. Decla- 
mations- und Dispositionsübungen. Alle 4 Wochen ein Aufsatz, (Mit den übrigen Klassen 
alle 6 Wochen Declamations- und Gesangsact auf der Aula.) 2 St. B. Ord. 

Themata ZU den deutschen Aufsätzen: 1) Das menschliche Leben und die Jahreszeiten. 2) Das n euer, 
ein Freund und Feind des Menschen. 3) Gedankengang des Sckiller’schen Spazierganges. 4) Der Rhein Deutsch- 
lands Strom, nicht Deutschlands Grenze (Klassenarbeit). 5) Die Dichter der Freiheitskriege. 6) Die Begründung 
der römischen Republik. 7) Uebersetzung der memorirten Praefatio des Livius (Klassenarbeit). 8) Dignum laude 
virum Musae vetat mori. 9) Die Kampfspiele der Phäaken. 10) Heimaths- und Vaterlandsliebe (Maturitäts- und 
Klassenarbeit). 

Latein. Syntax nach Meiring Kap. 106 — 125. Mündk Hebers, nach Seyffert. Cic. 
d. imp. Cn. Pomp, und pro Archia. Liv, II. priv. Caes. d. b. civ. III. Memorir- und Sprech- 
übungen. Wöchentlich ein Pensum oder Extemporale. 8 8t. B. Ord. — Verg. Aen. III u. IV. 
Memorir- und metrische Uebungen. 2 St. van Bebber. 

Themata ZU den Aufsätzen in Ila. 1) Ulud Horatii: „Dulce et decorum est pro patria mori“ nonnullis 
exemplis illustratur. 2) De urbe Roma a Gallis deleta, restituta a Camillo. 3) De primariis quibusdam feminis 
Romanorum. 4) Commune periculum concordia propulsandum est. 

Griechisch. Syntax des Nomens nach Curtius. Mündl. Uebers. nach Halm. Xenoph. 
Anab. V, Herod. IX, c. 1—25, 28— 69. Alle 14 Tage abwechselnd eine häusliche oder eine 
Klassenarbeit. 4 St. van Bebber. — Horn. Od. VI— X mit Memorirübungen. 2 St. B. Ord. 

Französisch. Plötz Schulgrammatik, Lect. 35—50. Alle 14 Tage ein Pensum oder Ex- 
temporale. Lectüre aus Choix de nouvelles du XIX me siede. 2 St. Pauly. 

Geschichte und Geographie. Geschichte der Griechen. Geogr. Europa’s und speciell 
Deutschlands. 3 St. B. Ord. 

Mathematik. Proportionalität der Linien , Ausmessung geradliniger Figuren . und . des 
Kreises. Gleichungen I. Grades mit mehreren Unbekannten. Repetition des vorigjährigen 


13 


Pensums. Die Anfangsgründe der Trigonometrie. Alle 14 Tage eine schriftliche Arbeit. 
4 St. Pauly. 

Physik. Allgemeine Eigenschaften der Körper. Die Lehre vom Gleichgewichte und 
der Bewegung der Körper. 1 St. Pauly. 

Tertia. 

Ordinarius : Herr Oberlehrer van Bebber. 

Religionslehre. a. Kathol. : Die Lehre von der Person und dem Werke des Erlösers, 
dem h. Geiste, der Kirche Christi und den letzten Dingen. Erklärung kirchlicher Hymnen. 
2 St. Terwelp. — b. Evang. : Combinirt mit Secunda. 

Deutsch. Erklärung prosaischer und poetischer Stücke aus dem Lesebuch von Schulz. 
Tropen und Figuren. Deklamationsübungen. Alle 3 Wochen ein Aufsatz. 2 St. D. Ord. 

Latein. Syntax nach Meiring Kap. 91 — 105. Mündl. Uebers. nach Meiring. — Caes. 
d. b. G. VI und VII, c. 1 — 70, priv. in lila V. Wöchentl. abwechselnd eine häusliche oder 
eine Klassenarbeit. 8 St. D. Ord. — Ovid. Met. mit Auswahl. Das Nöthige aus der Prosodie 
und Metrik. Memoriren. 2 St. Kühl. 

Griechisch. lila. : Artikel, Pronomen, Modi in unabhängigen Sätzen, in abhängigen Aus- 
sage- und Fragesätzen, in Absichts- und Bedingungssätzen, Infinitiv, Particip, Attraction des 
Relativs nach Curtius. Mündl. Uebers. nach Halm. Alle 14 Tage abwechselnd eine häus- 
liche oder eine Klassenarbeit. — Xen. Anab. I. Hom. Od. I. Das Wichtigste aus der Home- 
rischen Formenlehre. Memorirt Od. I., 1 — 177. 6 St. P. Ord. — Illb.: Verba liqu. Verba 
auf fu. Verba anom. Uebersetzungen aus dem Uebungsbuche. Alle 14 Tage eine häusliche 
oder Klassenarbeit. 6 St. Kräh. 

Französisch. Plötz Schulgrammatik L. 1 — 27. Alle 14 Tage ein Pensum oder Extem- 
porale. 2 St. Pauly. 

Geschichte und Geographie. Die deutsche Geschichte, mit besonderer Berücksichtigung 
der preussischen, von 1648—1871. 2 St. Geographie von Europa mit Ausschluss von Deutsch- 
land. 1 St. Kräh. 

Mathematik. Die Lehre vom Dreieck, Viereck, Kreis und von der Gleichheit der Fi- 
guren. Alle 14 Tage eine schriftliche Arbeit. 3 St. Pauly. 

Naturgeschichte. Im Sommer Botanik, im Winter Mineralien. 2 St. Pauly. 


Quarta. 

Ordinarius : Herr Kühl. 

Religionslehre, a. Kathol.: Die Lehre von der Gnade, den Sakramenten und c 
Gebete. Die Geschichte Jesu von der Auferstehung bis Himmelfahrt. Die Wirksamkeit 
Apostel. Besprechung deutscher Kirchenlieder und einiger Hymnen. 2 St. Terwelp. 
b. Evangel. : Biblische Geschichte des alten Testaments, Erklärung und Memorirung v< 
ausgewählten Kirchenliedern und Psalmen. 2 St. Sinemus. 

Deutsch. Lese-, Memorir- und Declamir-Uebungen nach Schulz. Die Lehre vom Satze. 
Alle 14 Tage ein Aufsatz. 2 St. D. Ord. 

Latein. Wiederholungen aus der Formenlehrei- Syntax des Nomens, nach Meiring, kl. Gr. 
Einübung durch mündliche Uebersetzung (nach Meiring) und Extemporalien. Alle 8 Tage 
ein Pensum. Vocabeln nach Bonneil. Cornelius Nepos, 9 vitae; Phaedrus’ Fabeln, nach 
Sibelis, tirocinium. Das Wichtigste aus der Prosodie und Metrik. Mehrere Capitel bezw. 
Fabeln memorirt. 10 St. D. Ord. 


4 


Griechisch. Formenlehre bis an die verba liquida, nach Curtius. Die entsprechenden 
Abschnitte aus Wesener übs. Alle 14 Tage eine schriftliche Arbeit. 6 St. P. Ord. 

Französisch. Plötz Elementargrammatik 60 — 100. Alle 14 Tage ein Pensum oder 
Extemporale. 2 St. Pauly. 

Geschichte und Geographie. Die Staaten des Alterthums nach Pütz. Wiederholung der 
Geographie von Asien, Afrika, Amerika, Australien. 3 St. P. Orcl. 

Mathematik. Allgemeine Rechnung mit Procenten, Zins-, .Rabatt-, Vertheilungs- und 
Mischungs-Rechnung. — Die Lehre von der Lage gerader Linien und die Lehre vom Dreieck. 
3 St. Pauly. 

Quinta. 

Ordinarius: Herr Pr. Terwelp. 

ßeligionslehre. a. Kathol. : Die Lehre von den Geboten Gottes und der Kirche, von 
der Tugend und Sünde. Die Geschichte der Jugend und des öffentlichen Lebens Jesu. Das 
Kirchenjahr. Besprechung deutscher Kirchenlieder. 2 St. P. Ord . — b. Evangel.: Combinirt 
mit Quarta. 

Deutsch. Grammatik im Anschluss an das Latein, besonders die Conjugation, Praeposi- 
tionen und Adverbien. Der nackte und einfach erweiterte Satz. Das Allgemeine über Bei- 
und Unterordnung. Erklärung prosaischer und poetischer Stücke aus dem Lesebuche. Dekla- 
mation. Wöchentlich eine orthographische Uebung. 2 St. P. Ord. 

Latein. Wiederholung der regelmässigen und Einübung der unregelmässigen Formenlehre. 
Die wichtigsten syntaktischen Eigentümlichkeiten. Vokabulieren. Extemporalien. Wöchentlich 
ein Pensum. 10 St. P. Ord. 

Französisch. Plötz Elementargrammatik, Lekt. 1 — 70. Alle 14 Tage ein Pensum oder 
Extemporale. 3 St. Pauly. 

Geographie. Belehrungen aus der mathematischen Geographie. Beschreibung der Gebirge 
und Gewässer Europas, besonders Deutschlands. Die einzelnen Länder Europas mit beson- 
derer Berücksichtigung von Deutschland und Preussen. Kartenzeichnen. 3 St. Laubenthal. 

Rechnen. Die Rechnungen mit Decimalbrüchen. Zusammengesetzte Regel de Tri. 
Allgemeine Rechnungen mit Procenten; Gewinn- und Verlustrechnung; Zins- und Rabatt- 
rechnung; Gesellschaftsrechnung; Mischungsrechnung. Alle 14 Tage eine schriftliche Arbeit. 
3 St. Laubenthal. 

Naturgeschichte. Uebersicht über die Botanik und Zoologie. 2 St. Laubenthal. 


Sexta. 

Ordinarius: Herr J£r&,ll. 

Religiou. a. Kathol.: Die üblichsten Gebete. Das Wichtigste vom Busssakramente. Er- 
klärung des apostolischen Symbolums. Biblische Geschichte von Erschaffung der Welt bis 
David. Besprechung deutscher Kirchenlieder. 2 St. Terwelp. — b. Evangel.: Combinirt mit 
Quarta. 

Deutsch. Grammatik im Anschluss an das Latein, mit Zugrundelegung von Lattmann 
Grundzüge etc., insbesondere die Wortarten, Declination und Conjugation, Praepositionen 
und Adverbia; der einfache Satz und die Hauptregeln der Orthographie und Interpunktion. 
Lesen und Erklären prosaischer und poetischer Stücke aus dem Lesebuche. Declamation. 
Wöchentlich eine orthographische Uebung. 2 St. P. Ord. 

Latein. Die regelmässige Formenlehre. Mündliches und schriftliches Uebersetzen aus 
dem Uebungsbuche. Wöchentlich ein Pensum. 10 St. P. Ord. 

Geographie. Vorbegriffe aus der mathematischen und physischen Geographie. Uebersicht 
der aussereuropäischen Erdtheile. Anleitung zum Kartenzeichnen. 3 St. P. Ord. 


15 




Rechnen. Die Rechnungen mit gewöhnlichen Brüchen. Einfache Regel de Tri in ganzen 
Zahlen und Brüchen. Alle 11 Tage eine schriftliche Arbeit. 4 St. Laubenthal'. 

Naturgeschichte. Combinirt mit Quinta. 

Ausserordentlicher Unterricht im Englischen 

wurde für 14 freiwillig angemeldete Schüler der Secunda und Tertia in wöchentlich 2 ausser- 
halb der gewöhnlichen Schulzeit liegenden Stunden von dem Rector ertheilt. Durchgenommen 
wurden — im 2. Semester durch regelmässige schriftliche Arbeiten unterstützt — die ersten 
17 Lectionen (S. 1 — 101) der englischen Conversations-Grammatik von Gaspey-Otto. Zu freier 
Lectüre dienten Walter Scott’s Tales of a grandfather, wovon nach der Auswahl von Schaub 
die Kapitel 1, 2, S, 4 u. 6 (S. 1—29 u. 44 — 52) gelesen wurden. 

Technischer Unterricht. 

1) Schreiben. VI und V combinirt. Einübung der deutschen und englischen Current- 
schrift, bei den Schülern der V auch der Ronde- und Fracturschrift sowie der griechischen 
Buchstaben. B St. Laubenthal. 

2) Zeichnen. VI. Geometrisches Zeichnen, verbunden mit der Formenlehre. 2 St. — 
V. Elemente des perspectivischen Zeichnens und Freihandzeichnen nach Vorlegeblättern. 2 
St. — IV. und die freiwilligen Theilnehmer der III und II : Weitere Entwickelung der Per- 
spective. Ausgeführtes Zeichnen von Holzkörpern. Grössere Darstellungen nach Vorlege- 
blättern. 2 St. Laubenthal. 

3) Besang. VI. Das Unentbehrliche aus der Rotation. Erklärung und Treffübungen 
der verschiedenen Intervalle. Rhythmische und dynamische Uebungen. Einübung der beim 
Schulgottesdienste gebräuchlichen Choräle. 14 Volkslieder. 1 St. — Chor (alle Classen com- 
binirt): Weitere Kenntnisse aus der Rotation. Mehrere religiöse und 15 vierstimmige welt- 
liche Gesänge. 2 St. Laubenthal. 

4) Tnrnnnterrlcht wurde in 3 wöchentlichen Stunden für alle Classen, in einer Stunde 
für die Vorturner gegeben. Pauly. 

Lehrbücher. 

Für den deutschen Unterricht in Secunda wird fortan statt des bisherigen Deycks-Kiesfü’- 
schen Lehrbuchs das von Worbs in Gebrauch treten. 

Für den facultativen Unterricht im Englischen sind die Grammatik von Gaspey- 
und Walter Scott’s Tales of a grandfather, in der Auswahl von Schaub, eingeführt. 


Aufgaben für die schriftliche Entlassungsprüfung. 


1 

2 


1) Deutscher Aufsatz: Heimaths- und Vaterlandsliebe. 

2) Mathematik: a. 1) x 2 + 2y + 3z = 4; 2)— 2 — + 4 =0; 3) 8x-+- 

' y z x z yx xyz 3 

y — 5 z + -jc> = 0. b. Ein Capital von 8443 M. zu 4°| 0 verzinst wird in wie viel Jahren 


ebenso gross sein wie ein Capital von 9000 M. zu 6°| 0 in 9 Jahren? c. Ein Dreieck zu con- 
struiren aus einem Winkel, der Höhe und Seitenhalbirifngslinie zu der dem Winkel gegen- 
überstehenden Seite, d. In einen gegebenen Kreis ein Rechteck zu beschreiben, dessen Seiten 
ein gegebenes Verhältniss m : n haben. 

3) Ein lateinisches, 4) ein griechisches und 5) ein französisches Scriptum. 


16 


Uebersichts-Tabelle über die Vertheilung des Unterrichts. 


L e li r e r. 

Ordinariat. 

Seeunda. 

Tertia. 

A. j B. 

Quarta. 

Quinta. 

Sexta. 

i 

H 

d 

<v 

d 

d 

+-» 

GQ 

1. Dr. J. Schlüter. 

Rector. 

II. 

2 St. Deutsch. 

8 St. Latein. 

2 St. Homer. 

3 St. Gesch. 





15i) 

2. H. van Bebber, 

Oberlehrer. 

III. 

4. St. Griech. 

2. St. Verg. 

6 St. 
Griech. 

2 St. D 
8 St. L 

eutsch. 

atein. 




22 

3. G. Kühl, 

Ordentl, Lehrer. 

IV. 


2 St. Ovid. 

2 St. Deutsch. 
10 St. Latein. 

6 St. Griech. 

3 St. Gesch. 



23 

4. J. Pauly, 

Ordentl. Lehrer. 


4 St. Mathem. 

2 St. Franz. 

1 St. Physik. 

3 St. Mathem. 

2 St. Franz. 

2 St.Naturgesch. 

3 St. Mathem. 

2 St. Franz. 

3 St. Franz. 


222) 

5. Dr. G. Terwelp, 

Ordentl. Lehrer. 1 

• 

2 St. Religion. 

2 St. Religion. 

2 St. Religion. 

2 St. Religion. 

2 St. Deutsch. 

10 St. Latein. 

2 St. Religion. 

223) 

6. F. Kräh, 

Ordentl. Lehrer. 

VI. 

\ 

1 6 St. 

Griech. 

3 St. Gesch. 



2 St. Deutsch. 
10 St. Latein. 

3 St. Geogr. 

24 

7. P. Laubenthal, 

Ordentl. Lehrer. 


2 St. Zeichnen. 

2 St. Gesang in allen E 

3 St. Rechnen. 

3 St. Geogr. 

2 St. Zeichnen. 

2 St. Natur 
3 St. Sc 

dassen. 

4 St. Rechnen. 

2 St. Zeichnen. 
1 St. Gesang. 

geschiohte. 

hreiben. 

244) 

S. K. Sinemus, 

ev. Religionslehrer. 


2 St. Religion. 

2 St. Religion. 

4 


1) Dazu 2 St. Englisch für Schüler der II. und III. und die Verwaltung der Bibliothek. 2) Dazu 3 St. Turnen. 
3) Dazu Abhaltung des Schulgottesdienstes. 4) Dazu das Orgelspiel im Schulgottesdienst. 


II. Lchrapparat. 


Aus den etatsmässigen Mitteln wurden angeschafft: 

1) für die Lelirerbibliothek : N. Jahrb. f. Philol.; Ztschr. f. d. Gymn.-W,; Central bl. f. d. 
Unterr.-Verw.; Jahrb. d. Vereins v. Alterthumsfr. i. Rheinl. — Die laufenden Fortsetzungen 
von Grimm’s Wörterbuch, Ebeling’s Lex. Horn., Schmid’s Encyclop. und dem Generalstabswerk 
üb. d. deutsch-franz. Krieg 1870 — 71. — Verhandl. d. 82. Philol.-Vers. zu Wiesbaden; Becker, 
Charikles 8. Bd.; Stoy, Pädagogik; Wegeier, Beitr. z. Specialgesch. d. Rheinl., 2. Aufl. ; Mo- 
litor, Gesänge f. Ist. Chor. 

2) für die Scküierblbliothek : Worbs, Deutsches Lesebuch; F. Schmidt, Kaiser Wilhelm; 
Otto, Deutsche Dichter u. Denker; Lindenherg, Dem Kaiser! Deut sehe Dichtergaben; Kugler, 
Gesch. Friedr. d. Gr.; Welter’s Weltgesch., 3 Bde, 24. Aufl. 

3) für das physikal. Cahinet: ein Gasometer, ein Bunsen’sches Flaschen-Element und 
verschiedene Chemikalien. 

✓ 

Geschenkt wurden: 


1) der Bibliothek : Von Herrn Landrath Delius in Mayen: Die Beleuchtung der deutsch* 
Seeküsten. Von Herrn Districtsarzt Dr. Kleffmann hier: Oken’s Allg. Naturgesch., 12 1 
m. Atlas; Garve, Uebers. u. Erkl. von Cicero's Büchern von den Pflichten, 2 Bde; Mc 
lembert, die Mönche des Abendl., 1. Thl.; Bodenstedt, die Lieder des Mirza-Schaffy; Vir 
die Freiheit der Wissensch.; A. Cornelii Celsi Medicina; Shakespeare, works, 7 Bde (v 
Macaulay, Essays, 3 Bde; Ch. Dickens, a tale of two cities, 2 Bde; English Essays, vor -orseh, 
Autoren, 4 Bde (Hamburg, Meissner, 1870); Longfellow, works, 4. Bd; Hallberger 
Magazine, 2 Bde; La Rochefoucauld, Maxim es et refle'xions; Fables de La Fontaine • 

Histoire de France; Manzoni, I promessi sposi; Le rime di Fr. Petrarca; Filippi, erstei >: 
in d. ital. Sprache; eine alte Botanik („Gewächsbuch“), gr. Lex.-F. m. vielen color. Abu 

(s. 1. et a.). Von Herrn Baumeister Müller hier: Zarncke’s Lit. Centralbl. 1877. Vom Un- 
terzeichneten: Katz, die Ursachen der Erblindung. — Von den HH, Verfassern: Prof. Sepp 
in Augsburg: Varia, Sammlung latein. Sprüche u. Redensarten; Dr. K. M eurer in Cöln 
(früh. Schüler d. Anstalt): Engl. Synonymik und Shakspere- Lesebuch m. Wörterb. — Von 
den I1H. Verlegern Wiegandt, Hempel & Parey, F. A. Herbig, R. Stricker, F. Müller in Berlin • 
Teubner, Velhagen & Klasing, A. Dürr, Ed. Peter in Leipzig, Vandenhoeck & Ruprecht in 
tingen, Schöningh in Paderborn, Coppenrath in Münster, Bädeker in Essen, Oldenbu 
München, Schauenburg in Lahr: Budde, Physik; Struve, Elemente der Geom., Trigon, u 
gebra; Matzat, Zeichnende Erdkunde; Plötz, französ. Lese- u. Uebungsbuch; Richter, la 
Lesebuch; Böhme, Rechnen- Aufg., 3 Hefte; Heimchen, deutsch-latein. u. latein. -deutsches L 
kon, 2 Bde; Andree-Putzger’s Gymnasial- u. Realschulatlas; Deutsche Jugend, Oktb.-Heft 18 
Hummel, Kl. Landeskunde der Rheinprovinz; Beckmann, französ. Leseb., 1. Thl; Sehet 
Rechnen- Aufg. ; Heilermann, Algebra,, 2 Thle ; Sybel, Histor. Ztschr. 1879, Heft 1 ; Seri 
Ausw. v. Gesängen, 7 Hefte; Lattmann, Latein. Lese- u. lat. Uebungsbuch f. Quinta. 

2) der Bibliotlieca paupeflini von den Herren Stadler zu Nettemühle und Backhaus 
zu Nettehammer grössere Partien meist wohlerhaltener Schulbücher. 

3) dem physikal. Cabinet von Herrn Stadler ein grosses Modell einer Dampfmaschine; 
von Herrn Meyser hier eine Döbereiner’sche Zündmaschine. 

4) der zoolog. Sammlung von Herrn Ed. Frank hierein in Spiritus gesetztes Exemplar 
einer Bartgrundel (Cobitis barbatula). 

Allen freundlichen Gebern ermangelt der Berichterstatter nicht Namens der Anstalt seinen 
ergebensten Dank auszusprechen. 


5 


18 


III. Verfügungen der Behörden. 

1) Min.-Verf. v. 18. Juni 1878: Revaccinirte Schüler sind auf die Dauer von 14 Tagen 
nach erfolgter Wiederimpfung von den Turnübungen zu dispensiren. 

2) Verf. (1. P.-S.-C. v. 30. Octb. 1878: „Zu dem schriftlichen Theil der Entlassungsprüfung 
der Progymnasien tritt von Ostern 1879 ab ein griechisches Scriptum hinzu. In den münd- 
lichen Theil derselben Prüfung ist von dem nämlichen Zeitpunkte ab das Fach der Religionslehre 
aufzunehmen.“ 

3) Verf. d. P.-S.-C. v. 18. Febr, 1879: Um den Lehrern der höheren Lehranstalten die 
Theilnahme an der vom 24. bis incl. 27. Septb. zu Trier tagenden 34. General- Versammlung 
deutscher Philologen und Pädagogen zu ermöglichen, wird bestimmt, dass unter Ausdehnung 
der Herbstferien auf 5 s | a Wochen in diesem Jahre der Unterricht Mittwoch den 20. August 
zu schliessen und Montag den 29. Septb. wieder aufzunehmen ist, dass dagegen die bevor- 
stehenden Osterferien in der Art eine Einschränkung erfahren, dass dieselben anstatt vom 9. 
bis zum 26. nur vom 9. bis zum 23. April dauern. 


IV. Frequenz. 

Die Anstalt wurde im verflossenen Schuljahr überhaupt von 84 Schülern besucht. 
Davon waren in Ila: 1, Ilb: 12, lila: 8 , HIV: 19, IV: 17, V: 10, VI: 17 Schüler. 
Einheimisch waren 58, auswärtig 26 5 katholisch 65, evangelisch 13, israelitisch 6 . Im Laufe 
des Schuljahres wurden neu aufgenommen 22, ausgetreten sind 9, davon 3 mit dem 
Qua.lificationszeugniss für den einjähr. freiwill. Militärdienst. 

Auf Grund der am 29. März unter Vorsitz des Berichterstatters abgehaltenen Entlassungs- 
prüfung erhielt das Zeugniss der Reife für die Prima eines Gymnasiums: 

Joseph Müncll, Sohn des Stationsvorstehers Herrn Jos. Münch zu Niederbreisig, geb. am 
31. Mai 1861 zu Niederbreisig, 2 J. Schüler der Secunda, 4 , | 2 J. der Anstalt, 

Eine Dispensation vom Religionsunterrichte auf Grund der M.-V. v, 29. Febr. 1872 ist 
nicht nachgesucht worden. 


V. Chronik. 

1) Das Schuljahr begann am 6 . Mai v. J. Am 13. Mai wurde der Unterzeichnete durch 
den Commissar des Kgl. Prov.-Schulcollegs Herrn Prov.- Schulrath Dr. voll Raczek in sein 
Amt eingeführt. Dem Einführungsacte folgte ein zahlreich besuchtes Festmahl im Hotel 
Hackenbruch. 

2) Durch Verfügung vom 7. November v. J. wurde die durch Ernennung des Herrn Dr. 
Esser zum Kreisschulinspector erledigte 3. ordentliche Lehrerstelle dem Herrn Pailly, die 
hierdurch vacant gewordene 4. Stelle dem Herrn Dr. Terwelp und die weiter erledigte 5. 
Stelle dem seitherigen commissarischen Lehrer Herrn Krall verliehen. 

Franz Erah wurde geboren am 8. Januar 1852 zu Herschbach (Regierungsbezirk Wiesbaden). Seine Gym- 
nasialbildung genoss er an dem Gymnasium zu Hadamar und wurde zu Ostern 1870 mit dem Zeugnisse der Reife 
entlassen. Er studirte dann auf den Universitäten Bonn und Leipzig Philologie und Geschichte und absolvirte am 
12. Mai 1875 in Bonn die wissenschaftliche Staatsprüfung. Das Probejahr, welches er demnächst an dem Gym- 
nasium zu Coblenz begann, wurde durch die einjährige Dienstzeit unterbrochen, und dann an demselben Gymna- 
sium Ostern 1877 vollendet. Darauf wurde er als commissarischer Lehrer an dem Progymnasium zu Andernach 
angestellt und mit dem 1. October 1878 zum ordentlichen Lehrer derselben Anstalt befördert. 


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3) Das Allerhöchste Gebartsfest Sr, Majestät des Kaisers wurde in gewohnter Weise auf 
der Aula mit Gesang und Declamation gefeiert. Die Festrede hielt der Unterzeichnete. — 
Aus Anlass der Attentate des vorigen Jahres fand am 28. Mai (Wilhelmstag) ein Dankact 
auf der Aula, am 7. Juni während der Schulmesse ein gemeinsames Bittgebet statt. — Für 
die Herstellung der Figur des Friedens am National-Denkmale auf dem Niederwald bei 
Rüdesheim wurden unter den Schülern 32 Mark gesammelt und an die Deutsche Vereinsbank 
zu Frankfurt a. M. abgeschickt. 

4) . Am Christi- Himmelfahrtstage (30. Mai) feierten 8 Schüler, von Herrn Dr. Terwelp 
vorbereitet, das Fest der ersten hl. Communion. 

Am 20. Juli machten Lehrer und Schüler eine Excursion nach Sayn resp. der 
Rauschermühle bei Plaidt. 

Der regelmässige Fortgang des Unterrichts wurde leider mehrfach gestört, zunächst durch 
die den ganzen Monat Mai beanspruchende militärische Dienstleistung des Herrn Pauly, 
sodann durch Krankheit des Herrn Pauly (Juli 8 Tage), des Herrn van Bebber (Novbr. 6 Tage) 
und des Unterzeichneten (Dezbr. u. Febr. 14 Tage). Für den evangelischen Religionsunterricht 
fielen durch amtliche Verhinderung des Herrn Pfarrer Sinemus 10 Stunden aus. 

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VI. Sclilussbemerkung. 

Das Schuljahr wird am Dienstag den 8. April Morgens mit feierlichem Gottes 
und nachfolgender öffentlicher Prüfung sämmtlicher Classen, Nachmittags mit Gesa 
Declamation auf der Aula geschlossen. Die Versetzungen der Schüler sind durch C 
beschluss endgültig festgestellt. 

Das neue Schuljahr beginnt Donnerstag den 24. April Morgens 7 Uhr mit 
Gottesdienst. Anmeldungen neuer Schüler werden von dem Unterzeichneten Mm 
23. April Morgens entgegengenommen, wonach die Aufnahmeprüfungen am selbe,- 1 / 

Nachmittags stattfinden. 

Jeder neu eintretende Schüler hat vorzulegen: a. sein letztes Schulzeugniss, b. seinen 
Geburts- oder Taufschein, c. seinen Impf- resp. Revaccinationsschein, d. das sogen. Nationale 
d. h. ein Blatt, auf welchem Vor- und Zuname des Schülers, Vor- und Zuname, Stand und 
Wohnung des Vaters resp. des Vormunds oder Stellvertreters verzeichnet sind. 

Für die Aufnahme in Sexta wird gefordert: Geläufigkeit im Lesen und Schreiben deutscher 
und lateinischer Schrift; Fähigkeit, ein leichtes Dictat ohne grobe orthographische Fehler 
nachzuschreiben; Kenntniss der Redetheile; Sicherheit in den vier Grundrechnungsarten mit 
ganzen Zahlen. Das normale Alter für den Eintritt in Sexta ist das vollendete neunte Leben - 

Auswärtige Schüler bedürfen zur Wahl ihrer Wohnung der Genehmigung des Re 

Andernach, den 31. März 1879. 


Dr. Schlüter, Rector. 













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